Vereinigung der Fußballer

Katar: Wenn Fußball über Leichen geht

Eine WM, bei der Fußball-Euphorie und Menschenrechtsverletzungen ganz nah beieinanderliegen. Am 21. November 2022 ist Ankick in Katar. In nigelnagelneuen Stadien mit saftigem grünen Rasen und neuer Infrastruktur von Hotels bis Shopping Malls, die alle eines gemeinsam haben: Sie kosteten laut dem britischen Medium Guardian mindestens 6.500 Arbeitnehmer*innen das Leben und für den schönen Schein wurden schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen in Kauf genommen. Nicht nur die Fußballwelt schaut zu.

Bereits bei der Verkündung Katars als Austragungsort für die WM 2022  vor mittlerweile elf Jahren wurde seitens Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften heftige Kritik geäußert. Im Rahmen einer 2013 gestarteten Kampagne des Internationalen Gewerkschaftsbundes machten auch in Österreich Gewerkschaften darauf aufmerksam, dass in Katar weder Gewerkschaftsrechte noch Arbeits- oder Menschenrechte eingehalten werden. Menschenrechtsorganisationen riefen dazu auf, die WM überhaupt zu boykottieren. Wieder einmal haben FIFA Funktionäre bei der Vergabe einer WM auf Korruption gesetzt und Sklavenarbeit sowie das Schicksal von Wanderarbeiter*innen en eigenen Gewinninteressen untergeordnet – Steuerfreiheit inklusive.

Abgesehen von den Korruptionsvorwürfen bei der Vergabe war klar: Es muss sich etwas ändern. Das Kafala-System ist eines der Probleme, die für die katastrophalen Arbeitsbedingungen vor Ort verantwortlich sind. Vor allem in den arabischen Golfstaaten wird dieses System der Bürgschaft bei Arbeitnehmer*innen und Investoren aus Drittländern angewandt.

DER HINTERGRUND
Die Organisation Human Rights Watch bestätigt, dass rund 95% der Arbeitnehmer*innen in Katar Arbeitsmigrant*innen sind. Zwei Millionen Menschen, vorwiegend aus afrikanischen und asiatischen Ländern. Der Großteil dieser Menschen ist für das Bauen von Stadien, Hotels und Infrastruktur zuständig, die für die Fußball- WM 2022 benötigt werden. Für sie gilt eben dieses System des Kafala („Bürgschaft“) – Arbeitsmigrant*innen werden durch Agenturen angeworben und um viel Geld an Arbeitgeber weitervermittelt. Diese Art von Bürgschaftssystem gilt für Arbeitskräfte im Haushalts-, Service- und Baubereich. Sie sind komplett von ihren „Bürgen“ abhängig. So werden ihnen bei der Einreise ihre Ausweisdokumente abgenommen und ihr Aufenthaltsrecht ist vom Wohlwollen ihres Bürgen abhängig. Ob Gehalt ausbezahlt wird oder wie Unterkünfte aussehen, wird auch von ihnen entschieden.

MEHR SCHEIN ALS SEIN
Der internationale Druck zeigte Wirkung. FIFA-Funktionäre und auch das offizielle Katar erkannten, dass es Zeit zum Handeln war. Mit Reformen des Arbeitsrechts und des Kafala-Systems sollten die Wogen öffentlichkeitswirksam geglättet werden. So gibt es seit 2017 ein Gesetz, das die Arbeitszeiten regelt, und auch der Mindestlohn wurde erhöht sowie gesetzlich verankert. Auch dürfen Arbeitsmigrant*innen nun ohne Erlaubnis des Arbeitgebers das Land verlassen oder die Arbeit wechseln. Viele sprechen nun von einem Ende des Kafala-Systems, doch es gibt diese neuen Regelungen bisher lediglich auf dem Papier.

Für Arbeitsmigrant*innen, die ausgebeutet werden, ist es schwierig, ihre Rechte einzufordern oder eine Entschädigung zu erhalten.

Konsequenzen bei Verstößen oder die Einbeziehung von Gewerkschaften, um diese Rechte auch einfordern zu können, gibt es weiterhin nicht. Darüber hinaus wird seitens Amnesty International noch eine weitere Problematik erwartet. Denn wenn die Stadien gebaut sind, die WM bestritten ist und die Aufmerksamkeit wieder schwindet, wird mit einer großen Abschiebungswelle der Arbeitsmigrant*innen gerechnet – sie werden dann ja nicht mehr gebraucht.

Die FIFA und der Weltfußball sollten jedoch nicht vergessen, dass es die Arbeitsmigrant*innen sind, die die Infrastruktur instand halten, für den perfekten Service in den Hotels und für einen reibungslosen Ablauf der gesamten Fußballweltmeisterschaft 2022 sorgen – und nicht die Bosse die in ihren Logen sitzen und sich die Hände reiben.

LEISE PROTESTE
Spät, aber doch mahnen nun einzelne Nationalteams mit selbst gezeichneten Lettern die Einhaltung von Menschenrechten ein – etwa mit der Aufschrift „Human Rights“ auf den Trikots der DFB-Elf oder mit den Slogans „Football Supports Change“ und „Human rights – On and off the pitch“ der niederländischen bzw. norwegischen Nationalteamspieler. FIFA und Verbände begrüßen die Aktionen und beschwören die „Meinungsfreiheit“ der Spieler. Leider war’s das aber auch schon mit dem Protest. Ein Boykott scheint vom Tisch. „Wem würde das auch helfen?“, so die Frage hoch dekorierter Funktionäre und Spieler. Noch ist Zeit, die zaghaften Verbesserungen für Arbeitnehmer*innen in Katar auszubauen und auch für die Zukunft zu sichern. Dazu braucht es aber auch ein wenig Mut. Nach der WM ist es zu spät.

 

Text: Thomas Kattnig